Geschichten

Kerzen der Hoffnung

Lyudmyla und ihre Familie geben die Hoffnung, die sie durch Medair erfahren haben, auf kreative Weise an andere Familien weiter.

Bei Medair freuen wir uns über jede Person, der wir mit unseren Hilfsmassnahmen Trost und Kraft spenden können. Kürzlich war Lyudmyla aus der Region Kiew eine von ihnen. «Ich dachte, wir würden alle auf der Strecke bleiben. Zum Glück bietet uns Medair ganz viel Unterstützung. Seit wir die Hilfe erhalten haben, lächeln meine Kinder wieder mehr und meine Seele fühlt sich ein wenig leichter an», sagt sie mit Tränen in den Augen.

Shelter / Infrastructure.

©Medair/Diana Mukan

Lyudmyla ist 69 Jahre alt und lebt mit ihrem Ehemann Viktor und zwei Adoptivkindern in einem ruhigen Dorf in der Region Kiew. 1984 war das Ehepaar durch die Tschernobyl-Katastrophe aus ihrem Heimatort vertrieben worden und hatte sich im Anschluss in dieser Region der Ukraine niedergelassen. Über die letzten Jahrzehnte hatten sie sich in ihrer neuen Umgebung ein ruhiges Leben aufbauen können.

Dann kam im März 2022 der russische Einmarsch in die Ukraine und alles änderte sich auf einen Schlag. Ihr Haus wurde von Granaten angegriffen und plötzlich befanden sie sich in unmittelbarer Gefahr. Zusammen mit rund zehn anderen Familienmitgliedern mussten sie in einem kleinen 4 m² grossen Keller auf ihrem Grundstück Zuflucht zu suchen.

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Lyudmyla und ihr Mann Viktor mit ihren Adoptivtöchtern. Beide Mädchen leben mit einer Behinderung. ©Medair/Diana Mukan

Während Lyudmyla mich an der Hand durch das Haus führt, schildert sie mir in groben Zügen den «schlimmsten Tag ihres Lebens»: «Mein Neffe hörte eine Granate auf uns zukommen und rief, dass alle in den Keller rennen sollten. Leider konnten weder er noch ich ihn rechtzeitig erreichen. Der Rest der Familie konnte sich in Sicherheit bringen. Die Granate explodierte in unserem Hof und durch die Druckwelle wurde mein Neffe ins Haus geschleudert. Ich war wie betäubt. Ich sah Rauch aus dem Keller aufsteigen. Mein erster Gedanke war, dass meine ganze Familie gestorben war. Dann haben wir Schreie aus dem Keller gehört. Gott sei Dank sind alle unverletzt geblieben.»

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Durch die Bombardierung sind Fenster in Lyudmylas Haus zerborsten. ©Medair/Diana Mukan

Durch die Explosion erlitt Lyudmyla eine Gehirnerschütterung und konnte einen ganzen Tag lang nichts hören. «Den ganzen Tag hatte ich Ohrensausen. Ich konnte mich auf nichts konzentrieren», sagt sie. Das Haus wurde stark in Mitleidenschaft gezogen – Fenster waren zerbrochen, das Dach beschädigt und Granatsplitter durchschlugen zwei Wände. Doch inmitten der Zerstörung keimte auch Hoffnung auf.

«Es gibt nicht genug Worte, um auszudrücken, wie dankbar wir Medair sind. Die Hilfe, die wir erhalten haben, war ein Rettungsanker für meine Familie. Jetzt, da unser Dach repariert ist, können meine Kinder nach der Schule zu Hause lernen, ohne sich Sorgen machen zu müssen. Früher haben wir uns einsam gefühlt, aber dieses Gefühl ist jetzt verschwunden. Wir wissen jetzt, dass wir nicht allein kämpfen», sagt Lyudmyla mit einem Leuchten in den Augen.

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Medair-Mitarbeitende während den Reparaturarbeiten am Dach des Hauses. ©Medair/Diana Mukan

Lyudmyla führt mich in ein anderes Zimmer und beginnt, etwas in einem Paket zu suchen, das auf dem Boden liegt. «Schau», sagt sie und hält mir eine handgefertigte Kerze entgegen. Sie erklärt: «Als Familie haben wir einen Weg gefunden, etwas zurückzugeben – wir haben Kerzen gebastelt, um anderen in verschiedenen Gemeinden Wärme zu spenden. Die Unterstützung von Medair hat nicht nur unsere Lebensbedingungen verbessert, sondern uns auch dazu inspiriert, etwas zurückzugeben und die Menschen um uns herum zu ermutigen.»

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Lyudmyla zeigt ihre selbstgemachten Kerzen. Die ganze Familie stellt Kerzen her, um Licht und Wärme mit anderen zu teilen. ©Medair/Diana Mukan

Medair konnte nicht nur die physischen Schäden am Haus beheben, sondern auch neue Hoffnung in Lyudmylas Familie säen. Dank des reparierten Dachs und der ausgetauschten Fenster können ihre beiden Kinder erneut in sicherer Umgebung lernen. Das ist umso wichtiger, wenn man bedenkt, dass vielerorts in der Ukraine der Präsenzunterricht für Schulkinder aufgrund Sicherheitsbedenken noch immer nicht möglich ist. Auch ist das Heim nun wieder besser isoliert und die Wärme kann nicht mehr so leicht durch Ritzen und Löcher ausweichen.  

Medair konnte Lyudmyla zeigen, dass sie und ihre Familie weder vergessen noch alleine sind. Dieses Wissen hat ihnen Kraft gespendet, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen und sie inspiriert, für lokale Familien, die sich in einer ähnlichen Lage befinden, da zu sein. Mit ihren selbstgemachten Kerzen haben sie Licht und Wärme in einer dunklen Situation verbreitet. 

So soll die Arbeit von Medair im Idealfall wirken. Sie soll sich multiplizieren. Denn leider können wir nicht alle Menschen in Not erreichen. Doch wenn wir eine Person oder eine Familie stärken, die dann aus ihrer wiederhergestellten Stärke heraus anderen unter die Arme greifen kann, können wir indirekt viele erreichen. Gemeinsam können wir mehr bewirken!  

 


Die Medair-Dienste in der Stadt Kiew, Ukraine, werden von der Glückskette finanziert.

Alle Fotos ©Medair / Diana Mukan

Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und am internationalen Hauptsitz verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.

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