Mit vereinten Kräften den Vulnerablen helfen
«Wir bevorzugen es, wenn es tagsüber regnet», sagt Napita. Sie ist 36 und vor kurzem mit ihrer Familie vor den Kämpfen in Khartum in ihre alte Heimat, den Südsudan, geflohen. «Nachts ist es dunkel und wir können die giftigen Schlangen um uns herum nicht sehen, die der Regen aus ihren Verstecken lockt», erklärt sie weiter. Napita und ihre Familie gehören zu den Tausenden von Rückkehrern aus dem Sudan, die die Grenze überquert haben und nun ohne Unterkunft in einem der Lager warten, die in der Grenzregion entstanden sind, um von Hilfsorganisationen an ihr Ziel gebracht zu werden. Die meisten von ihnen haben Verwandte im Südsudan und werden vorerst bei ihren Familien Zuflucht suchen. Aufgrund der weiten Entfernungen und der schlechten Infrastruktur im Land ist es jedoch fast unmöglich, sie auf eigene Faust zu erreichen. Sie sind zu erschöpft von den grausamen Erlebnissen in Khartum, von der Reise über die Grenze und von der schwierigen Lebenssituation in den Lagern.
Sowohl die Betroffenen als auch die humanitäre Gemeinschaft im Südsudan stehen mit dieser neuen Krise vor einem enormen Kraftakt. Finanzielle Reserven für eine solche Notsituation sind nicht vorhanden. Geringere Finanzmittel und ein steigender humanitärer Bedarf im Südsudan aufgrund von Überschwemmungen, Hungersnot, Krankheitsausbrüchen und Konflikten zwischen den Gemeinschaften hatten die Hilfsorganisationen schon vor dieser neuen Krise an die Grenzen ihrer Kapazitäten gebracht. Zusätzlich kehren nun täglich rund 1700 Menschen in ihre alte Heimat zurück, in ein Land, in dem bereits 76 % der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen sind.
«Das Wichtigste für uns ist, dafür zu sorgen, dass die Menschen nicht zu lange im Grenzgebiet festsitzen, sondern dass sie schnellstmöglich in ihre Zielgebiete gelangen können», erklärt Christophe Reltien, Leiter des Büros für Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe der Europäischen Union (ECHO) im Südsudan.
Damit teilt er die Meinung der meisten Menschen in den Lagern, die sehnlichst darauf warten, so schnell wie möglich zu ihren Familien gebracht zu werden.
«Ich will nicht hier im Lager bleiben», klagt Napita. «Wenn heute ein Transporter käme und mich mitnehmen würde, wäre ich sofort bereit. Hier gibt es nichts, worauf es sich zu warten lohnt.»
Während die humanitäre Gemeinschaft weiter daran arbeitet, den Transport der Menschen unmittelbar nach ihrer Ankunft im Südsudan zu ermöglichen, stehen die Rückkehrer in den Lagern bereits vor Herausforderungen, die dringend Hilfe erfordern. Das ERRM-Konsortium, ein von der Europäischen Union kofinanziertes Bündnis der vier internationalen Hilfsorganisationen Norwegian Refugee Council (NRC), Danish Refugee Council (DRC), Medair und Solidarités International (SI) in Zusammenarbeit mit anderen lokalen Partnerorganisationen, reagiert auf diese unmittelbaren Bedürfnisse der Menschen. ERRM steht für «Emergency Rapid Response Mechanism» und fasst den Auftrag des Konsortiums zusammen: gemeinsam rapide Hilfe dort zu leisten, wo sie in einer Notsituation am dringendsten benötigt wird. Die komplexe Situation in der Grenzregion bringt die Stärken des Konsortiums zum Vorschein. Keine der Partnerorganisationen wäre alleine in der Lage, so vielseitig und umfassend auf die Bedürfnisse der Betroffenen einzugehen, wie es durch die gemeinsame Anstrengung und die Fokussierung auf die einzelnen Fachgebiete im Verbund möglich ist.
«Der Vorteil des Konsortiums ist, dass wir die verschiedenen Bedürfnisse gemeinsam angehen und unsere Ressourcen in einem umfassenden und ganzheitlichen Ansatz kombinieren können. Gemeinsam verfügen wir über ein grosses Reservoir an qualifizierten Fachleuten in den verschiedenen Hilfsbereichen wie Schutz, Wasserversorgung und Sanitäranlagen, Gesundheit usw. Die Idee des Konsortiums hat sich als brillant erwiesen und sollte weiter ausgebaut werden, damit wir mit unserer Bündelung von Ressourcen noch mehr Menschen helfen können.»
Projektkoordinator Leju Diringi leitet den Einsatz des Teams des Norwegischen Flüchtlingsrats (NRC) rund um das Transitzentrum an der Hauptstrasse am Stadtrand von Renk, wo er sich selbst von den Vorteilen der Zusammenarbeit im Konsortium überzeugen kann. Gemeinsam mit Mitarbeitenden des Dänischen Flüchtlingsrats (DRC) bietet sein Team den dort ankommenden Menschen Schutz. Der NRC bietet Rechtsschutz. Unter anderem ersetzen sie verlorene oder beschädigte zivile Dokumente, die für den Zugang zu Dienstleistungen und grundlegenden Rechten in den Vertreibungsgebieten und bei der Ankunft an anderen Orten im Südsudan entscheidend sind. Rückkehrer aus dem Sudan können bei der Servicestelle der Organisation Unterstützung beantragen. So etwa Mustafa. Er ist mit seiner Familie vor den Kämpfen aus Khartum geflohen und ohne Geld und Wertsachen im Transitzentrum angekommen. Im dortigen Büro des NRC hat er Unterstützung gefunden.
«Als die Kämpfe begannen, ist alles ganz schnell gegangen. Wir sind geflohen und mit fast nichts hier angekommen. Ich hatte gehört, dass es im Südsudan Organisationen gibt, die für Sicherheit sorgen, also sind wir hierhergekommen. Im Lager habe ich gesehen, wie Sie den Menschen geholfen haben. Wir hatten kein Geld für Lebensmittel. Und meine Tochter leidet an einer Hautkrankheit und braucht Medikamente. Dank der Unterstützung durch Bargeldhilfe können wir nun für Lebensmittel und Medikamente sorgen. Wir danken allen Ihren Mitarbeitern hier für ihre Unterstützung in dieser komplizierten Situation.»
Solidarités International (SI) widmet sich im selben Transitzentrum einer weiteren wichtigen Aufgabe: der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Die Bereitstellung angemessener und menschenwürdiger sanitärer Einrichtungen für eine grosse und täglich wechselnde Anzahl von Menschen ist in einem solchen Umfeld keine leichte Aufgabe. «Die Menschen im Transitzentrum davon zu überzeugen, keine offene Defäkation zu praktizieren und die bereitgestellten sanitären Anlagen zu nutzen, ist ein wichtiger erster Schritt und erfordert viel Aufklärungsarbeit», berichtet Elias Edema, Projektkoordinator von SI.
Salma ist mit ihrer Familie vor drei Tagen im Transitzentrum angekommen, als wir sie dort treffen und mit ihr sprechen. Sie möchte in die südsudanesische Hauptstadt Juba gelangen und wartet auf eine Transportmöglichkeit für sich und ihre Familie. Sie weiss, wie wichtig die Sanitärarbeit von SI ist und erzählt uns davon:
«Ich sehe viele Kinder, die hier im Freien ihr Geschäft verrichten. Die Arbeit von SI ist wichtig. Wir sehen Sie die ganze Zeit bei der Arbeit, wie Sie den Platz reinigen und den ganzen Müll wegbringen. Sie verhindern, dass unsere Kinder krank werden und halten den Ort sauber.»
Viele der Rückkehrer finden den Weg zu den Latrinen zu mühsam, vor allem nachts. Sie ziehen es daher vor, in der Nähe ihres Schlafplatzes zu defäkieren. Dies wiederum erhöht das Risiko, dass Krankheiten ausbrechen und sich verbreiten.
SI wirkt dem täglich mit sanitären Teams entgegen. Während ein Teil der Teams Aufräumarbeiten erledigt, säubern andere die Umgebung von Exkrementen und Müll und reinigen die sanitären Anlagen. Jeden Morgen fährt ein grosser LKW vor, den die Teams mit Müll aus dem Transitzentrum beladen, um ihn anschliessend sicher zu entsorgen.
Unmittelbar jenseits der sudanesischen Grenze, im Dorf Wunthou, unterstützt das Medair-Nothilfeteam die umgesiedelten Rückkehrer und die aufnehmende Gemeinschaft mit einer Wasseraufbereitungsanlage, die sauberes und sicheres Trinkwasser für die stark gestiegene Zahl der Haushalte liefert. Mit diesem so genannten SWAT-System wird das Wasser aus dem Nil zu sicherem Trinkwasser aufbereitet und steht der Gemeinde in ausreichender Menge zur Verfügung.
Mutter Juru lebt mit ihrer Familie in Wunthou und ist froh, sauberes Trinkwasser zu haben, das sowohl für ihre Dorfgemeinschaft als auch für die Rückkehrer, die das Dorf nun beherbergt, ausreicht. Sie erzählt:
«Bevor das SWAT-System installiert wurde, haben wir das Wasser direkt aus dem Fluss getrunken. Jetzt ist das Wasser sauberer und ich kann es trinken. Ich weiss, dass es jetzt sicher ist. Das Wasser ist gut. Wenn die Menschen schmutziges Wasser trinken, kann es Krankheiten verursachen. Ich weiss, dass es Durchfall und Infektionen verursachen kann. Für mich ist dieses Wasser besser als das Wasser aus dem Fluss. In dem Wasser aus dem Fluss sind viele schmutzige Dinge drin. Man kann sogar den Schmutz darin sehen.»
Die hohe Zahl der Rückkehrer belastet auch das Gesundheitssystem. Die Einrichtungen sind voll ausgelastet. Es mangelt an Medikamenten, um die Menschen zu versorgen. Um die Gesundheitseinrichtungen zu entlasten, ist Medair mit einem Gesundheitsteam vor Ort, das mit Hilfe der ICCM-Methode (Integrated Community Case Management) in verschiedenen Dorfgemeinschaften rund um Renk freiwillige lokale Gesundheitshelfende ausbildet und mit Medikamenten ausstattet. Diese Gesundheitshelfenden sind dadurch in der Lage, ihre Mitmenschen eigenständig gegen die häufigsten Krankheiten wie Malaria, Lungenentzündung und Durchfall zu behandeln. Dies stärkt die lokalen Kapazitäten und bringt die Gesundheitsversorgung in die Nähe der Menschen, die sich eine medizinische Versorgung nicht leisten können oder einen deutlich längeren Weg zu den nächsten Gesundheitseinrichtungen haben.
Das ERRM-Konsortium hat sich zum Ziel gesetzt, auf die unmittelbaren Bedürfnisse gefährdeter Bevölkerungsgruppen in akuten Notsituationen zu reagieren. Die Situation in Renk an der Grenze zum Sudan wird jedoch auch in den kommenden Monaten eine wichtige Aufgabe für die gesamte humanitäre Gemeinschaft darstellen. Die Mitglieder des Konsortiums werden die Hilfemassnahmen in Renk in andere eigene Projekte integrieren oder sie an Partnerorganisationen übergeben. Auf diese Weise können die aufgebauten Hilfsstrukturen aufrechterhalten werden, während das ERRM-Konsortium mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union auf eine der vielen neuen Notsituationen in anderen unterversorgten Gegenden des Landes reagieren kann.