Sudan-Krise: Wie Medair weiterhin hilft, um das Leid zu lindern
Sudan-Krise: Wie Medair weiterhin hilft, um das Leid zu lindern
Zwölf Monate nach Beginn des bewaffneten Konflikts im Sudan hat sich dieser zur grössten Vertreibungskrise der Welt entwickelt. Bis heute wurden 8,4 Millionen Menschen gezwungen, aus ihren Häusern zu fliehen, und es werden jeden Tag mehr. Tausende Familien haben in Nachbarländern wie dem Tschad, Äthiopien und dem Südsudan Zuflucht gesucht. Die Mehrheit, 6,5 Millionen Menschen, sind jedoch innerhalb des Landes vertrieben worden. Sie sind aus den Kriegsgebieten in vermeintlich sicherere Gebiete geflüchtet. Viele sind nun gezwungen, in Notunterkünften in überfüllten Vertriebenensiedlungen oder Schulen zu leben. Der Bedarf an humanitärer Hilfe ist drastisch gestiegen, und die Hilfsorganisationen stehen vor enormen Herausforderungen, wenn es darum geht, die betroffene Bevölkerung mit Hilfeleistungen zu erreichen. In dieser ernsten Lage ist Medair vor Ort und hilft weiterhin den Bedürftigsten an schwer zugänglichen Orten.
Grundlegende Dienstleistungen in drei Bundesstaaten während der Krise
Medair war bereits vor dem Ausbruch des jüngsten Konflikts im Sudan im Einsatz. Mit Sitz in der Hauptstadt Khartum leisteten wir im südsudanesischen Bundesstaat Blue Nile humanitäre Hilfe. Als sich die Kämpfe über die Stadt und andere Teile des Landes ausbreiteten, wurden unsere internationalen Mitarbeitenden aus Khartum evakuiert. Doch unsere mutigen einheimischen Mitarbeitenden blieben vor Ort und bildeten im vergangenen Jahr das Rückgrat der Medair-Programmarbeit. Aus der Ferne, von der kenianischen Hauptstadt Nairobi aus, unterstützten unsere evakuierten Kollegen das Team im Sudan weiterhin. Sie beschafften anhand der Bedarfsanalysen des Teams vor Ort mehr Mittel, um die Aktivitäten auszuweiten und auf die wachsenden Bedürfnisse der sudanesischen Bevölkerung zu reagieren. Trotz der Herausforderungen konnte Medair neben der Arbeit in Blue Nile auch neue Projekte in Khartum und im Bundesstaat White Nile starten. Heute ist Medair in drei verschiedenen Bundesstaaten des Sudan tätig und leistet lebensrettende Hilfe für diejenigen, die sie am dringendsten benötigen.
Khartum: Verteilung von grundlegenden Haushaltsgütern für die im Zentrum des Kriegsgebiets verbliebenen Menschen
Seit dem 15. April 2023, als die Kämpfe zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) begannen, ist Khartum, einst die stolze Hauptstadt des Sudan, nicht mehr dieselbe. Sie ist heute einer der tödlichsten Orte der Welt für Zivilisten, und das nicht nur wegen der aktiven Kämpfe in vielen Teilen der Stadt. Der Zugang zur Grundversorgung ist in den meisten Gebieten abgeschnitten. Viele Gesundheitseinrichtungen wurden zerstört, und in den Einrichtungen, die ihre Dienste anbieten könnten, fehlt es an Medikamenten und Personal. Sauberes Trinkwasser und Nahrungsmittel sind knapp, und die Kämpfe haben das Anlegen von Vorräten wesentlich erschwert. Selbst was verfügbar ist, ist aufgrund der Inflation für die meisten Menschen zu teuer geworden. Jeder, der konnte, ist aus Khartum geflohen. Diejenigen, die geblieben sind, befinden sich inmitten der brutalen Kämpfe und sind für Hilfsorganisationen schwer zu erreichen. Doch das Medair-Team, das selbst zur betroffenen Bevölkerung gehört, hat kreative Wege gefunden, um die Vulnerabelsten in Khartum zu erreichen.
Verteilung von Haushaltsgütern in Khartum im Januar 2024. ©Medair
Manchmal sogar unter Beschuss, verteilten unsere Mitarbeiter lebenswichtige Hilfsgüter. Bei diesen sogenannten «Non-Food-Items» (NFIs), wie sie im humanitären Sprachgebrauch bezeichnet werden, handelt es sich um Gegenstände wie Decken, Eimer, Wasserbehälter und Plastikplanen, die vertriebenen Familien helfen, in Würde zu leben und neue Hoffnung zu schöpfen. Diese Menschen sind aus ihrem Alltag, aus ihren Gemeinschaften gerissen und gezwungen worden, mit nichts als dem, was sie tragen können, zu fliehen. Die Möglichkeit, alltägliche Aktivitäten wie Kochen, Putzen und Körperpflege mit geeigneten Materialien durchzuführen, kann dazu beitragen, ihnen ein Gefühl der Normalität zurückzugeben. Ausserdem bietet sie ein gewisses Mass an Privatsphäre für gefährdete Personen und Familien. Dies ist besonders wichtig für Frauen, Kinder und ältere Menschen, die in einer chaotischen Lage einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. NFIs können auch dazu beitragen, dass die knappen finanziellen Mittel der vertriebenen Familien nicht aufgebraucht werden. Ohne diese Hilfe müssten die Familien ihr Geld für diese lebenswichtigen Dinge ausgeben, anstatt es für andere wichtige Bedürfnisse, wie z. B. die medizinische Versorgung, zu sparen. Bisher konnte unser Team in Khartum diese NFI-Kits an mehr als 1000 Haushalte in Notunterkünften verteilen.
Staat White Nile: Notfallmassnahmen bei Cholera-Ausbruch
Informationsveranstaltung über Cholera in White Nile. Eine lokale Gesundheitshelferin spricht mit Frauen aus einer von einem Choleraausbruch betroffenen Gemeinschaft. ©Medair
In White Nile ist ein verstärkter Zustrom von Binnenvertriebenen zu verzeichnen, insbesondere aus den Randgebieten von Khartum. In den Vertriebenenlagern und informellen Siedlungen mangelt es an angemessenen sanitären Einrichtungen und Zugang zu sauberem Wasser. Das schafft ideale Bedingungen für die Verbreitung von durch Wasser übertragene Krankheiten wie Cholera. In diesen überfüllten Lagern kann sich die Cholera aufgrund des engen Kontakts und der mangelnden Hygiene schnell verbreiten. Als im Bundesstaat White Nile ein Choleraausbruch registriert wurde, war das Medair-Team sofort zur Stelle. Unsere Mitarbeitenden verteilten Cholera-Hygienesets mit Seife und Chlor sowie weitere medizinische Ausstattung an die regionalen Gesundheitseinrichtungen. Zudem stärken wir die Widerstandsfähigkeit der betroffenen Gemeinschaften und verringern das Risiko einer Krankheitsübertragung, indem wir Aufklärungsveranstaltungen durchführen und lokale Gesundheitshelfer und –helferinnen schulen.
Verteilung von Wasserkanistern und anderen Haushaltsgütern in White Nile im Dezember 2023. ©Medair
Wie bei unseren Aktivitäten in Khartum verteilte Medair auch in White Nile NFIs und Hygienesets an über 2000 Haushalte. Khalid, unser leitender Projektmitarbeiter vor Ort, war gerührt vom positiven Feedback und der Dankbarkeit der Familien.
«Es war eine grosse Freude, die Erwartungen der Menschen zu erfüllen. Viele Sozialarbeiter und humanitäre Akteure hatten vor der Ankunft von Medair eine Liste der Hilfeempfänger erstellt, doch hatten nie etwas verteilt. Doch wir haben die Güter innerhalb von zwei Wochen verteilt. Es war pure Freude. Wir haben unser Wort gehalten. Wir haben schnell und im Einklang mit den Erwartungen der Gemeinschaft gehandelt. Wir waren überrascht, dass die Leute uns zum Dank freudig umarmten, als sie erkannten, dass wir von Medair sind. Es war die erste Arbeitswoche eines neuen Kollegen, und für ihn war es überraschend, dass die Leute ihn umarmten und ihm für die Güter dankten. Die lokale Gemeinschaft wird diese lebenswichtige Unterstützung nicht vergessen.»
Medair-Projektleiter Khalid (Mitte) mit Kollegen von Medair sowie Mitarbeiterinnen von der UN-Migrationsbehörde IOM während einer Verteilaktion von Hilfsgütern in White Nile im Dezember 2023. ©Medair
Staat Blue Nile: Multisektorale Dienste für Gemeinschaften, die von jahrzehntelangen Krisen betroffen sind
Auch im Bundesstaat Blue Nile ist der Bedarf an humanitärer Hilfe erheblich gestiegen, obwohl es nicht zu den Gebieten gehört, die am stärksten von den Kämpfen zwischen den Streitkräften betroffen sind. Doch aufgrund von Gewalt zwischen den Gemeinschaften, Vertreibung, Naturkatastrophen und Krankheitsausbrüchen ist die Gemeinschaft genauso gefährdet wie die Menschen in den Konfliktgebieten. Als ältestes laufendes Projekt von Medair hat unser Team hart und engagiert daran gearbeitet, sich an die neuen Herausforderungen anzupassen, die durch die jüngsten Kämpfe entstanden sind.
Abdulbaset, unser Projektleiter in Blue Nile, erklärt:
«Wir arbeiten mit Bevölkerungsgruppen, die in den letzten zwölf Jahren von der Versorgung abgeschnitten waren und intern und extern vertrieben wurden. Jetzt arbeitet Medair hart daran, die Versorgung wiederherzustellen, was eine Zusammenarbeit auf allen Ebenen und in allen Bereichen des Gesundheitssystems erfordert.»
Unser Team betreibt an mehreren Orten Gesundheitseinrichtungen, und unsere mobilen Kliniken erreichen abgelegene Gemeinden, die nicht einmal Zugang zu den grundlegendsten Gesundheits- und Ernährungsdiensten haben. Wir arbeiten mit Partnern zusammen, um wichtige Infrastrukturen wie Solarsysteme, Verbrennungsanlagen, Handwaschstationen und Wassertanks in Gesundheitseinrichtungen zu sanieren und zu bauen. Unser geschultes Personal bringt in unseren Entbindungskliniken Babys sicher zur Welt und behandelt in unserem neu eröffneten Stabilisierungszentrum schwer akut unterernährte Kinder unter fünf Jahren mit zusätzlichen medizinischen Komplikationen.
In einer unserer Kliniken haben wir während der Regenzeit Dawalas vierjährigen Sohn Ibrahim behandelt. Seine Mutter brachte ihn in die Medair-Klinik, weil er unter starken Kopfschmerzen und hohem Fieber litt. Unser medizinisches Personal testete den Jungen positiv auf Malaria – keine grosse Überraschung in der Regenzeit, wenn in den bedürftigen Gemeinden, die sich keine Moskitonetze leisten können, ein hohes Risiko besteht, sich mit Malaria zu infizieren. Die Mutter ist erleichtert, dass ihr Sohn behandelt wurde, und erzählt uns:
«Ihre Einrichtung ist nicht weit von meinem Zuhause entfernt und leicht zu erreichen. Ich bin hierher gekommen, weil mein Sohn krank ist und behandelt werden muss. Ich kann mir die Kosten für Medikamente und den Transport zum nächstgelegenen Krankenhaus nicht leisten. Deshalb bin ich heute hier. Ich wusste, dass Medair kostenlose Gesundheits- und Ernährungsdienste für Kinder unter fünf Jahren und schwangere Frauen anbietet. Dies ist das erste Mal, dass ich Leistungen von Medair erhalte, und mein Sohn hat alle seine Medikamente von Ihnen bekommen. Wir haben hier heute alle Leistungen erhalten, die wir brauchten. Ich werde meine Familie ermutigen, sich hier behandeln zu lassen.»
Mutter Dawala bei der Behandlung in einer der Medair-Gesundheitseinrichtungen in Blue Nile. Ihr vierjähriger Sohn Ibrahim ist an Malaria erkrankt und erhält kostenlose Medikamente. ©Medair
Sudan – eine vernachlässigte Krise
Die Menschen im Sudan sind mit der weltweit grössten Vertreibungskrise konfrontiert, und laut Schätzungen von UN-Experten wird sich das Land noch dieses Jahr zur schlimmsten Hungerkrise der Welt entwickeln. Die humanitäre Gemeinschaft hat Mühe, auf die katastrophale Situation aufmerksam zu machen, und viele Akteure vor Ort haben das Gefühl, dass sich die Welt abgewendet hat. Sie versuchen, die Zuversicht nicht aufzugeben und in den vom Konflikt zerrissenen Gebieten zu helfen, in denen es kaum noch Hoffnung gibt. Mit sehr begrenzten Mitteln geben Hilfsorganisationen wie Medair ihr Bestes, um einen Unterschied zu bewirken, trotz des eingeschränkten Zugangs zu den Behörden, den Sicherheitsbedrohungen und den enormen logistischen Herausforderungen. Doch ohne ausreichende finanzielle Unterstützung wird es immer schwieriger, auf die Bedürfnisse der Bevölkerung einzugehen. Finanzierungskürzungen zwingen humanitäre Akteure zu schwierigen Entscheidungen darüber, wem sie in einer sich täglich verschlechternden Situation, in der fast die Hälfte der Landesbevölkerung von 48 Millionen auf Hilfe angewiesen ist, Vorrang einräumen sollen. 10 Millionen der Hilfsbedürftigen im Sudan werden aufgrund fehlender internationaler Finanzmittel im Jahr 2024 keinen Zugang zu humanitären Diensten haben. Der humanitäre Aktionsplan für das Land ist bis heute nur zu 5 Prozent finanziert.
Medair engagiert sich weiterhin im Sudan, doch wir benötigen Ihre Unterstützung, um mehr Menschen zu erreichen. Wir möchten denjenigen, die alles verloren haben und immer noch in Ungewissheit leben, neue Hoffnung schenken. Ihre Grosszügigkeit bewirkt einen echten Unterschied und rettet Leben in dieser vernachlässigten Notlage. Sie können den Menschen im Sudan beistehen, die inmitten einer der schlimmsten Krisen in Vergessenheit geraten sind.
Die Hilfsmassnahmen von Medair in der Region Blue Nile werden von der US-Behörde für internationale Entwicklung (USAID) und der Europäischen Union (ECHO) finanziert. Die Hilfsmassnahmen von Medair in Khartum und in der Region White Nile werden von der Glückskette finanziert.
Dieser Artikel wurde von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten und am internationalen Hauptsitz verfasst. Die vertretenen Ansichten sind ausschliesslich die von Medair und in keiner Weise auf offizielle Positionen anderer Hilfsorganisationen übertragbar.