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Von der Chefetage ins Krisengebiet

August 7, 2024
von Medair
Ukraine
Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie es ist, aus der Privatwirtschaft in den humanitären Sektor zu wechseln? Genau das ist die Geschichte von Marco, Medairs Landesdirektor für die Ukraine. In diesem Artikel erzählt er uns mehr über seinen besonderen beruflichen Werdegang und seinen heutigen Alltag.

Bevor er in den karitativen Bereich wechselte, war Marco Galli lange Zeit in der Privatwirtschaft tätig. Heute arbeitet er seit über zehn Jahren in der humanitären Hilfe und hatte bereits mehrere Leitungspositionen bei Medair inne – zuletzt in unserem Ukraine-Landesprogramm. Was Marco in seinem Beruf antreibt, ist der Wunsch, Mitgefühl und Glauben in die Tat umzusetzen und Menschen in Not neue Hoffnung zu schenken. Im Folgenden erzählt er uns seine Geschichte:

Der Umbruch

«Nachdem ich 15 Jahre lang in der Privatwirtschaft gearbeitet hatte, beschloss ich vor über zehn Jahren, meinen Traum in die Realität umzusetzen und in den humanitären Sektor zu wechseln.  

Zunächst arbeitete ich ein Jahr auf freiwilliger Basis in Afrika. Danach bewarb ich mich auf eine Stelle bei Médecins Sans Frontières (MSF, auf Deutsch Ärzte ohne Grenzen) und wurde für einen Einsatz in Zentralasien angestellt. Die Arbeit war spannend, aber das Teamleben nicht einfach und auch für meinen Glauben eine Herausforderung. Bei einem anderen Einsatz im Irak lernte ich Medair kennen.

Anfänge bei Medair

Medair war am selben Ort wie MSF stationiert und ich war sofort von der Organisation fasziniert. Auf der Webseite las ich über die Werte von Medair und konnte mich sofort damit identifizieren, insbesondere was den Bezug zum christlichen Glauben angeht. Also beschloss ich, mich zu bewerben und wurde für den ROC (Orientierungskurs für Nothilfe und Wiederaufbau) eingeladen. Am Ende der Woche gab es ein Vorstellungsgespräch. Darin ging es um eine Stelle im Länderprogramm in Madagaskar. Nur wenige Wochen später war ich auf dem Weg zu meinem ersten Einsatz für Medair in Madagaskar als Projektleiter, dieselbe Funktion, die ich auch bei MSF gehabt hatte.  

Nach diesem Einsatz verspürte ich den Wunsch, noch mehr Erfahrung zu gewinnen. Medair vertraute mir erneut eine Rolle an. Diesmal ging es in den Süden der DR Kongo, als Programmleiter für den Bereich Gebrauchsgüter. Zu dieser Zeit gab es im Nordosten des Landes eine Choleraepidemie und Medair hatte einen umfangreichen Hilfseinsatz gestartet. Kurz vor dem Ablauf meines Anstellungsvertrags wurde ich gefragt, ob ich das Projekt koordinieren wollte. Ich sagte zu und blieb ein weiteres Jahr, bis der Einsatz beendet war.

Von Afrika in die Ukraine

Danach nahm ich eine Auszeit und schrieb ein Buch. Die Ideen dazu waren mir während meiner Zeit in der DR Kongo gekommen. Als ich mein Schreibprojekt beendet hatte, meldete ich mich wieder als Freiwilliger. Dann brach der Konflikt in der Ukraine aus. Ich war gerade in Afrika und starrte fassungslos aus dem Fenster, als ich davon erfuhr. Ich entschied, es wäre an der Zeit, wieder zu Medair zurückzukehren und den Menschen in der Ukraine zu helfen. Also bewarb ich mich und wurde als stellvertretender Landesdirektor eingestellt. Es war ein intensiver, anstrengender Einsatz, aber das Team war grossartig und wir haben uns gegenseitig Kraft gegeben. Als vor einem Jahr der Einsatz der damaligen Landesdirektorin zu Ende ging, war ich zuversichtlich, mit meiner Erfahrung diese Rolle übernehmen und das Team weiter führen zu können. Ich stellte mich zur Verfügung und wurde der neue Landesdirektor. Bis heute bin ich in dieser Funktion tätig.

Alltag im Krisengebiet

Das Besondere an dieser Arbeit ist das Leben im Team. Wir wohnen und arbeiten zusammen, einheimische und internationale Mitarbeitende, und haben viel erreichen können für die vom Krieg betroffenen Menschen. Wir sehen unglaubliche Orte und treffen ganz besondere Menschen. Es ist bereichernd und spannend gleichzeitig. Natürlich gibt es auch Dinge, die mühsam sind. Hunderte E-Mails und Nachrichten müssen jeden Tag beantwortet, Berichte und Budgets erstellt, Stapel von Dokumenten unterschrieben, endlose Stunden am Computer und tage- und nächtelange Fahrten im Zug verbracht werden. Gerade sitze ich im Zug auf dem Weg in den Osten der Ukraine, an die russische Grenze, wo die Bevölkerung unter ständigem Beschuss lebt. Wir sind dort seit zwei Jahren tätig. Unser dortiges Team schläft nachts in Kellerräumen und arbeitet tagsüber in einem unterirdischen Büro, um sich vor den Bombardierungen zu schützen. Wenn es die Sicherheitslage erlaubt, gehen wir zu den Betroffenen.

Die Tage sind ermüdend und nach getaner Arbeit esse ich mit dem Team zusammen zu Abend, falls uns nicht ein Fliegeralarm vom Esstisch vertreibt. Einmal mussten wir das Huhn in den Keller bringen und es in einem feuchten, staubigen Raum aufessen. Ein anderes Mal mussten wir Matratzen nach unten «schmuggeln» und im Konferenzraum des Hotels auf dem Boden schlafen. Das war der einzige unterirdische Schutzraum, der zur Verfügung stand. Das Team ist einfach aussergewöhnlich und mutig!

Jeden neuen Tag beginnen wir mit einer gemeinsamen Bibelandacht und Gebet. Wir wissen nie, was uns erwartet. Das einzig Sichere ist, dass grosse Herausforderungen auf uns warten. Aber wenn wir hart arbeiten, ausdauernd sind und als Team zusammenstehen, können wir sie mit Gottes Gnade meistern. Unser Ziel ist es, Notleidenden zu helfen und ihnen ein Stück Hoffnung zu geben, indem wir ihnen zeigen, dass sie nicht allein sind.»

Marcos Werdegang im humanitären Sektor veranschaulicht sein unermüdliches Engagement für Menschen in Not. Und er zeigt, welch grosser Unterschied bewirkt werden kann, wenn man Glauben und Hoffnung inmitten schwierigster Umstände auslebt.

August 7, 2024
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