5 Min. Lesedauer

Eine widerstandsfähige Hilfe aufbauen

October 29, 2024
von Medair
Schweiz
Wie wir durch eine innovative Finanzierung weiterhin nachhaltig Veränderung schaffen können

Der Rückgang der staatlichen Finanzierung und seine Auswirkungen

Überblick über aktuelle Trends

  • Kürzung der staatlichen Mittelzuweisungen: In den letzten Jahren sind die staatlichen Mittel für humanitäre Hilfe deutlich zurückgegangen. Gründe für diesen Trend sind veränderte politische Prioritäten, wirtschaftliche Zwänge und ein erhöhter Bedarf an inländischen Ausgaben.
  • Ausrichtung an der Aussenpolitik: Staatsausgaben orientieren sich zunehmend an aussenpolitischen Zielen. Regierungen investieren eher in strategische Interessen anstatt in humanitäre Bedürfnisse. Folglich fliessen staatliche Mittel häufiger in geopolitisch wichtige Regionen und nicht in Gebiete, wo humanitäre Hilfe dringend benötigt wird.

Einfluss globaler Ereignisse

  • Ukraine-Konflikt: Beispielsweise hat der Konflikt in der Ukraine viele Regierungen dazu veranlasst, ihre Haushalte umzuschichten und mehr Mittel für die Unterstützung der Ukraine bereitzustellen. Dadurch stehen jedoch weniger Mittel für andere humanitäre Krisen zur Verfügung.

Auswirkungen auf humanitäre Bemühungen

Infolge der gekürzten Mittel mussten viele Hilfsorganisationen ihre Programme zurückfahren. Das bedeutet, dass sie weniger Menschen helfen können und vor Herausforderungen wie kleineren Teams und begrenzten Ressourcen stehen. Auch der Wettbewerb zwischen den Organisationen um die verfügbaren Mittel hat zugenommen, was manchmal zu Konflikten und Ineffizienz führt.

Konkrete Beispiele

  • Syrische Flüchtlingskrise: Finanzierungskürzungen haben sich erheblich auf die Hilfsprogramme für syrische Geflüchtete ausgewirkt. Kürzungen in der Nahrungsmittelhilfe, in der Gesundheitsversorgung und in der Bildung sind die Folgen.
  • Subsahara-Afrika: In Regionen wie Subsahara-Afrika waren mehrere Gesundheits- und Ernährungsprogramme gezwungen, zu schliessen, wodurch sich die humanitäre Krise noch verschärft hat.

Langfristige Auswirkungen: Herausforderungen und Möglichkeiten

Die Frage, die wir uns jetzt stellen müssen, ist, wie wir unsere humanitären Bemühungen langfristig aufrechterhalten können, wenn die Mittel weiter zurückgehen. Um weiterhin wirksame und nachhaltige Hilfe leisten zu können, müssen wir innovativ sein und nach neuen Wegen der Mittelbeschaffung suchen, etwa durch Partnerschaften mit Unternehmen und privaten Spenderinnen und Spendern.

Was ist «Social Return on Investment» (SROI) und was bedeutet es für die humanitäre Hilfe?

SROI in der humanitären Hilfe

  • Steigerung der Effektivität von Programmen: SROI (z. Dt. Sozialrendite) ist eine Methode, um die Auswirkungen unserer Hilfe aufzuzeigen. Dabei geht es nicht nur um Zahlen, sondern um die tatsächlichen Veränderungen im Leben der Menschen. In der humanitären Hilfe bedeutet das, dass wir Hilfsempfängerinnen und -empfängern in Entscheidungen miteinbeziehen, damit Hilfsprogramme nicht nur von Aussenstehenden entworfen werden. Welche Erwartungen haben die Betroffenen selbst? Was verstehen sie  unter einem erfolgreichen Ergebnis?
  • Fallstudien: SROI wird bereits in verschiedenen Sektoren angewendet, u.a. in der Landwirtschaft, Bildung und im Gesundheitswesen. Beispiele zeigen, dass SROI den langfristigen sozialen Nutzen von Projekten aufzeigen kann, von verbesserten Einkommensverhältnissen bis hin zu mehr Wohlbefinden in der Gemeinschaft.  

Ziele, Auswirkungen und Resultate messen

  • Festlegung von Metriken: Die Festlegung klarer, messbarer Ziele ist entscheidend für genaue SROI-Berechnungen. Dazu gehört die Bestimmung von Leistungsindikatoren (KPIs), die die tatsächlichen Auswirkungen der Initiativen widerspiegeln.
  • Herausforderungen bei der Datenerhebung: Das Sammeln zuverlässiger Daten ist nicht immer einfach, insbesondere in abgelegenen oder von Konflikten betroffenen Gebieten. Organisationen müssen in robuste Methoden der Datenerfassung und -analyse investieren, um die Genauigkeit zu gewährleisten.

Verschiedene Messmethoden

  • Qualitativer und quantitativer Ansatz: SROI kombiniert sowohl qualitative als auch quantitative Daten, um einen umfassenden Überblick über die Auswirkungen einer Initiative zu erhalten. Dazu gehören Interviews mit Stakeholdern, Umfragen und finanzielle Indikatoren.
  • Probleme mit der Standardisierung: Der Mangel an standardisierten Methoden kann zu Unstimmigkeiten bei SROI-Berechnungen führen. Die Entwicklung sektorspezifischer Leitlinien kann dazu beitragen, dieses Problem zu lösen und die Vergleichbarkeit zu verbessern.

Bedenken über «Greenwashing» entgegenwirken

  • Authentizität und Transparenz: Aus Besorgnis um «Greenwashing» werden Nachhaltigkeitsbestrebungen von Unternehmen heutzutage immer kritischer beäugt. Um die Glaubwürdigkeit der Organisation zu wahren, sind Transparenz und Authentizität in der SROI-Berichterstattung deshalb von höchster Priorität. Indem wir die Ergebnisse unserer Programme klar aufzeigen, können wir andere vom Wert unserer Bemühungen überzeugen.
  • Verifizierung durch Dritte: Unabhängige Prüfer, die die Daten bestätigen, können das Vertrauen stärken und ein ernstgemeintes Engagement für soziale Auswirkungen demonstrieren.

So hilft uns SROI, neue Spender zu gewinnen

Entstehung von Marktplätzen für soziale Rendite

  • Innovative Plattformen: Das Aufkommen von Marktplätzen für soziale Rendite hat neue Finanzierungswege geschaffen. Diese Plattformen bringen humanitäre Projekte mit Investoren in Verbindung, die Projekte finanzieren wollen, die messbare Ergebnisse liefern.
  • Sichtbarkeit und Reichweite: Mit SROI können wir aufzeigen, was unsere Projekte bewirken. Das erhöht unseren Bekanntheitsgrad und verbessert unsere Chancen, Finanzmittel für unsere Initiativen zu erhalten.

Risikominderung von Finanzierungsportfolios

  • Risikominderung: Der SROI bietet einen Rahmen für die Bewertung der potenziellen Risiken und Erträge humanitärer Projekte. So können Geldgeber fundierte Entscheidungen treffen und das mit ihren Investitionen verbundene Risiko verringern.
  • Diversifizierung: Indem wir die vielfältigen Vorteile unserer Initiativen aufzeigen, können wir Geldgeber ansprechen, die ihre Portfolios mit sozial verantwortlichen Investitionen diversifizieren wollen.

Die Anfangsfinanzierung sichern

  • Zugang zu Ressourcen: Projektvorbereitungseinrichtungen bieten Finanzmittel für die Entwicklung und Verbesserung von Projekten an, bevor grössere Investitionen angestrebt werden. Der Einsatz von SROI kann dazu beitragen, diese Anfangsfinanzierung zu sichern, indem wir die potenziellen Auswirkungen des Projekts aufzeigen.
  • Verbessertes Projektdesign: Mit einer Vorbereitungsfinanzierung können wir solidere Projekte konzipieren und SROI-Kennzahlen einbeziehen, um langfristige Nachhaltigkeit und Wirksamkeit zu gewährleisten.

Aufbau nachhaltiger und widerstandsfähiger humanitärer Programme

Die Bedeutung von diversifizierten Portfolios

  • Risikominderung: Um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, ist es wichtig, sich nicht nur auf eine einzige Finanzierungsquelle zu verlassen. Eine Diversifizierung der Finanzierungsquellen gewährleistet Stabilität und verringert das Risiko plötzlicher finanzieller Engpässe.
  • Erhöhte Flexibilität: Ein diversifiziertes Portfolio ermöglicht es uns, uns an veränderte Umstände anzupassen und neue Chancen für Wachstum und Wirkung zu ergreifen.

Private Finanzierung ermöglicht Unabhängigkeit

  • Eigenständigkeit: Die private Finanzierung ist für die Wahrung der Unabhängigkeit von humanitären Organisationen von entscheidender Bedeutung. Sie ermöglicht es uns, ohne ungebührlichen Einfluss einer einzelnen Organisation zu arbeiten.
  • Nachhaltiger Betrieb: Eine kontinuierliche private Finanzierung stellt sicher, dass wichtige Programme ohne Unterbrechung weitergeführt werden können, auch wenn die staatliche Finanzierung schwankt.

Grössere Unparteilichkeit bei der Zuweisung von staatlichen Mitteln

  • Bedarfsabhängige Zuweisung: Die Zuweisung staatlicher Mittel sollte sich am humanitären Bedarf und nicht an politischen Bündnissen orientieren. So wird sichergestellt, dass die Hilfe die am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen erreicht.
  • Gerechte Unterstützung: Die Förderung der Unparteilichkeit bei Finanzierungsentscheidungen stärkt das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit sowohl bei den Begünstigten als auch bei der internationalen Gemeinschaft im Allgemeinen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Landschaft der humanitären Finanzierung weiter verändert und dass es für die Organisationen unerlässlich ist, sich anzupassen, indem sie innovative Ansätze wie Social Return on Investment (SROI) anwenden. Indem wir den langfristigen Nutzen unserer Massnahmen konsequent messen und nachweisen, können wir nicht nur den effektiven Einsatz von Ressourcen sicherstellen, sondern auch neue, alternative Finanzierungsquellen erschliessen. Diese strategische Ausrichtung auf SROI wird uns in die Lage versetzen, nachhaltigere und widerstandsfähigere Programme zu entwickeln und letztlich unsere Fähigkeit zu verbessern, wirksame humanitäre Hilfe zu leisten. Die Nutzung von SROI wird ein entscheidender Schritt sein, um die Zukunft unserer humanitären Bemühungen zu sichern und den positiven Wandel für notleidende Gemeinschaften zu maximieren.

October 29, 2024
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Anne ist eine führende Stimme und Akteurin im globalen Sektor der humanitären Hilfe. Sie hat in den letzten zwanzig Jahren humanitäre Einsätze in Darfur, Somalia, Angola, Norduganda und dem Südsudan geleitet. Zuletzt war sie Direktorin für die internationalen Programme von Medair im Nahen Osten, Zentralasien, in Europa und in Afrika. Darüber hinaus ist Anne Mitglied der Direktorengruppe, die den Ständigen Institutionellen Ausschuss der Vereinten Nationen berät. Dieser Ausschuss hat die Aufgabe, die Koordination in der humanitären Hilfe zwischen UN und Nicht-UN-Organisationen zu verbessern. Wir freuen uns, bekannt geben zu dürfen, dass Anne Reitsema zur neuen Geschäftsführerin von Medair ernannt wurde. Sie ist damit die fünfte Person, die diese verantwortungsvolle Funktion seit der Gründung unserer Organisation im Jahr 1989 innehat. Wir haben uns gefreut, mit ihr über diese neue Kapitel in ihrer humanitären Karriere zu sprechen.